„Trend zur Dezentralisierung“

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Apr 20, 2022
Thorsten Winkelmann, Arvato Supply Chain Solutions
© Arvato

Claudius Semmann

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der DVZ
Thorsten Winkelmann von Arvato über die Entwicklungen in der Healthcare-Logistik

DVZ: Herr Winkelmann, Arvato Supply Chain Solutions hat ein Shuttle-Lager im Logistikzentrum in Harsewinkel im Kreis Gütersloh eröffnet. Über das System werden die Produkte von 25 Pharma-und Medizintechnikherstellern abgewickelt. Ist diese Automatisierung nun so eine Art Blaupause für andere Standorte?
Thorsten Winkelmann: Für unser Healthcare-Segment ist das jetzt zunächst einzigartig. Es gibt also aktuell keine Pläne, so ein Shuttle-Lager auch an anderen Standorten einzubauen. Dort verfügen wir aber über andere Technik. Zum Beispiel haben wir Autostores verbaut, gerade nehmen wir zum Beispiel ein Autostore-System in Hamburg und eines in Memphis in den USA in Betrieb. Und für Harsewinkel planen wir noch eine Rack-to-Person-Anlage für den Kühlbereich 2 bis 8 Grad Celsius. Da fahren dann also die Regale zu den Mitarbeitern, so wie man das zum Beispiel von Amazon kennt.

Das Unternehmen hat 15 Millionen Euro in das Shuttle-Lager investiert. Warum, glauben Sie, wird sich dieser hohe Automatisierungsgrad letztlich auszahlen?
Zunächst benötigen wir dadurch weniger zusätzliches Personal und erhöhen die Produktivität. Der Hauptgrund an dem Standort war aber, dass wir damit Wachstumsmöglichkeiten geschaffen haben, ohne kurzfristig am Standort in Harsewinkel groß bauen zu müssen.

Wenn Dienstleister in Automatisierung investieren, sollten auch die Verträge etwas länger laufen. Wie ist hier die Entwicklung?
Die Tendenz zu kurzen Laufzeiten bei Initialverträgen sehen wir seit einiger Zeit nicht mehr. Zugleich laufen die Erstverträge aber auch nicht so lange, dass sich solch eine Investition amortisiert. Deshalb ist es wichtig, dass die Lösung flexibel ist und man sie weiterverwenden kann. Und das ist bei unserem neuen Shuttle-Lager der Fall.

Was für Laufzeiten sind im Healthcare-Bereich üblich?
Bei Initialverträgen sind es derzeit mindestens fünf Jahre.

Zur Person

Der 54-Jährige leitet seit 2005 die Sparte Healthcare bei der Bertelsmann-Tochter Arvato Supply Chain Solutions. Nach dem BWL-Studium und der Promotion in VWL an der Uni Göttingen begann Thorsten Winkelmann 1997 seine Karriere als Assistent eines Vorstandsmitglieds von Arvato, seit 1998 übernahm er verschiedene Führungspositionen.

Im Inneren des Shuttle-Lagers im Logistikzentrum in Harsewinkel im Kreis Gütersloh
© Arvato

Sie sprachen von Wachstumsmöglichkeiten. Was heißt denn Wachstum in Ihrem Geschäft?
Zunächst: Es gibt nicht das eine Healthcare-Geschäft. Der Generika-Bereich zum Beispiel wird weiter wachsen, ist aber ein sehr kostenintensives Geschäft. Und dann gibt es Bereiche, die wachsen eigentlich gar nicht, so wie das klassische Pharmageschäft, also so etwas wie die 50-Euro-Packung in der Apotheke. Absolute Zahlen kann ich für einzelne Sparten von Arvato nicht nennen. Aber wir verdoppeln unseren Healthcare-Umsatz etwa alle vier bis fünf Jahre – und das nun seit mehr als zehn Jahren. Das sind also so um die 20 Prozent Wachstum pro Jahr im Schnitt. Wir glauben, dass die für uns relevanten Segmente in dem Markt etwa um 3 Prozent im Jahr wachsen. Wir sehen weiterhin einen deutlichen Trend zum Outsourcing. Und der Markt für das breite Spektrum an Dienstleistungen, das wir anbieten, wächst somit im Schnitt um etwa 8 Prozent pro Jahr. Da haben wir es bisher also geschafft, ungefähr gut doppelt so schnell wie der Markt zu wachsen. Und wir nehmen uns vor, das so fortzusetzen.

Was sind die Treiber dieses Wachstums?
Wichtig ist, dass wir nicht nur den Großhandel bedienen, sondern auch den zunehmenden Direktvertrieb hin zu Krankenhäusern, Apotheken oder manchmal sogar Patienten abdecken. Nun ist es zwar nicht so, dass der Massenmarkt unbedingt viel direkter wird. Das ist also kein Megatrend. Aber speziell bei Medizintechnik oder bei besonders teuren Medikamenten geht da schon einiges. Und da sehen wir uns durch das komplette Fulfillment mit Auftragsmanagement, Kundenbetreuung und Finanzabwicklung, ergänzend zu Lagerhaltung und Transport, gut aufgestellt. Hinzu kommt: Unsere Auftraggeber konzentrieren ihre Distribution gern auf wenige Partner. International aus einer Hand, lautet da mehr und mehr die Devise. So haben wir inzwischen schon Kunden gewonnen, für die wir Europa komplett übernehmen, für fast alle Kunden arbeiten wir in mindestens zwei Ländern. Zudem punkten wir beim Thema IT-Integration und Vernetzen von Prozessen.

Während der Pandemie gab es generell einen Trend zu mehr Sicherheitsbeständen. Wie hoch ist derzeit die Nachfrage nach Lagerkapazitäten im Healthcare-Sektor?
Die Bestände befinden sich immer noch auf einem hohen Niveau. Wir beobachten zudem einen deutlichen Trend zur Dezentralisierung. Das hat viel mit der Pandemie zu tun. Zudem sind viele unserer Kunden, die Spezialmedikamente anbieten, so stark gewachsen, dass sie außer einem Zentrallager mit uns Lager, Bestände und Distributionsstrukturen in mehreren Ländern aufbauen. Und wir glauben, dass dieser Trend zu mehr Regionalisierung bestehen bleiben wird, vor allem weil dieser Aspekt der Sicherheitsbestände jetzt eine große Rolle spielt. Grundsätzlich will die Pharmabranche verstärkt mit einem Lager vor Ort sein. Medizintechnik wird dagegen noch hauptsächlich zentral verteilt. Das liegt aber auch daran, dass hier zunehmend das Zentrallager um Vor-Ort-Bestände in Krankenhäusern ergänzt wird, weil diese ständige Verfügbarkeit fordern. Diese Konsignationsbestände managen wir auch – und dann braucht es eben kein regionales Lager mehr.

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