Robert Kümmerlen
Störungen der Lieferketten, knappe Kapazitäten und Personalmangel werden auch 2022 die Logistikabläufe beeinträchtigen. Für die Dienstleister bedeutet dies, dass sie weiterhin ein hohes Maß an Flexibilität aufbringen müssen, um schnell auf Änderungen im Marktumfeld reagieren zu können.
In diesem Zusammenhang spielen effiziente, digitalisierte und automatisierte Prozesse eine entscheidende Rolle. Der Einsatz von digitalen Zwillingen, Augmented Reality, künstlicher Intelligenz (KI), Cloudlösungen und Sensortechnik setzt sich immer stärker in den weltweiten Wertschöpfungsnetzen durch. Denn längst stehen nicht mehr nur Unternehmen im Wettbewerb, sondern auch deren -Lieferketten.
Der große Anspruch ist daher, alle Prozesse entlang der Supply Chain weniger störanfällig zu gestalten. Technologieanbieter wie Ivanti Supply Chain wittern dadurch Geschäft, zum Beispiel durch die Automatisierung von Lagern. Aufgrund der Personalknappheit werden „Logistikunternehmen Automatisierungslösungen einsetzen, die die Einarbeitungszeit neuer Angestellter verkürzen und die Mitarbeiter schnell zu Höchstleistungen bringen“, sagt Ivanti-Manager Brandon Black. Dies kann beispielsweise mit Augmented-Reality-Anwendungen geschehen, bei denen neu anzulernende Mitarbeitende in einer virtuellen Arbeitsumgebung in die Abläufe eingewiesen werden. Gerade bei Tätigkeiten wie Verpacken oder Kommissionieren bietet sich das an.
Darüber hinaus gibt es viele Ansätze für Automatisierung im Lager. So entwickelt das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund autonome Ladungsträger – die Load Runner –, die sich mittels KI selbst im Schwarm organisieren und steuern können. Zudem unterstützen Roboter und Softwaresysteme das Personal im Lager unter anderem bei Bestandsplanung, Nachverfolgung, Datenerfassung und Prozessoptimierung. Ivanti-Manager Black geht davon aus, dass KI-Anwendungen und Robotik „den Lagerbetrieb 2022 auf ein völlig neues Niveau heben werden, da Automatisierungstools dazu beitragen können, die Lücke im Arbeitskräftemangel zu schließen, die Lieferkette zu sichern und Unternehmen angesichts der Unsicherheit zukunftssicher zu machen“.
In Lagern und Logistikzentren unterstützen Softwaresysteme sämtliche Prozesse – die Bestandssteuerung ebenso wie die Personalplanung. Welche Systeme im Einsatz sind, am Markt angeboten oder an Lagerstandorten eingeführt werden und wie diese sich auf die Mitarbeitenden auswirken, hat das IML in Kooperation mit Forschungs- und Industriepartnern in einer aktuellen Studie untersucht.
Whitepaper zu Ressourcenplanung
Für die personelle Ressourcenplanung steht eine Vielzahl an Softwaresystemen und Hilfsmitteln zur Auswahl. Als Spezialsoftware gelten hierbei Ressourcenplanungssysteme (RPS). „Etwa 37 Prozent der Lagerstandorte planen in den nächsten vier Jahren die Einführung eines RPS“, berichtet Linda Maria Wings, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IML.
Das Institut hat ein Whitepaper mit dem Titel „RPS-Studie – Softwaregestützte Planung personeller Ressourcen im Lager“ veröffentlicht. Fazit: Mittels Technik und Software lässt sich die Produktivität erhöhen und die Planungsgenauigkeit steigern. „Trotzdem bleibt der Mensch aufgrund seiner individuellen Qualifikationen, flexiblen Einsetzbarkeit und umfassenden Lernfähigkeit ein Dreh- und Angelpunkt im Lager“, heißt es seitens des IML.
Vernetzung ist essenziell
In der Logistik- und Transportwirtschaft gibt es vier Megatrends, welche für Unternehmen der Branche bedeutend oder sehr bedeutend sind: Cloud Computing und Blockchain, Datenanalyse und künstliche Intelligenz, Internet der Dinge und cyberphysische Systeme sowie Robotik und Automation-. Das hatte Ende vorigen Jahres eine Umfrage von SCI Verkehr in Köln ergeben, an der rund 100 Unternehmen teilgenommen haben. Die Technik hält immer mehr Einzug in die Betriebe und werden weniger spekulativ beurteilt wie in den Jahren zuvor, so die Einschätzung der SCI-Marktexperten. In Zeiten sich ständig verändernder IT-Prozesse rücken beispielsweise Cloud Computing und Blockchain in den Vordergrund. Knapp drei Viertel der befragten Transport- und Logistikunternehmen schätzen diesen Trend aktuell als sehr bedeutend ein.
Zugleich zeigt sich, dass Daten in jeglicher Form weiterhin eine hohe Bedeutung haben, denn die Vernetzung über das Internet und der Austausch von Daten sind essenziell für nahezu alle Geschäftsprozesse. Außer dem Datenaustausch an sich sind selbstlernende Algorithmen und die Verknüpfung von reeller und virtueller Welt bei der Optimierung der Prozesse- ebenfalls von hoher Bedeutung. Es ist davon auszugehen, dass Technologien dieser Art in diesem Jahr weiter an Relevanz gewinnen, da sie auch wesentlich zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen können.
Dabei definiert sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht über die Verfügbarkeit einer Technik oder Anwendung an sich, sondern über den Mehrwert, den sie in der operativen Praxis bringt. Viele Funktionen sind heutzutage Standard und werden als selbstverständlich vorausgesetzt – beispielsweise Sendungsverfolgung. Derartige Grundfunktionen sind Allgemeingut. Sie immer wieder aufs Neue zu entwickeln, ist Verschwendung.
Frei verfügbare Funktionen
Vor diesem Hintergrund hat sich auf Initiative des IML die „Open Logistics Foundation“ gegründet. Der Ansatz dabei ist, bestimmte Hard- und Software, die für sich genommen quasi ein Massengut ist, der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen, damit diese sie weiterentwickelt, verbessert und erweitert. Von diesem Fortschritt profitieren wiederum alle, da jeder in der Gemeinschaft die Hard- oder Software für spezialisierte Zwecke nutzen kann. Welche Geschäftsmodelle damit unterstützt oder daraus abgeleitet werden, stellt dann die eigentliche Innovationskraft eines Unternehmens dar.
Die Open Logistics Foundation wurde voriges Jahr von Dachser, DB Schenker, Duisport und Rhenus gegründet, beteiligt sind des -Weiteren Duisport und die BLG Logistics Group. Gerade für kleine und mittlere- Unternehmen dürfte es interessant sein, welche Hard- und Softwarekomponenten in diesem Jahr im Rahmen der Initiative zur Verfügung gestellt werden.
Lieferketten stärken
Die Menge an Daten und Informationen, die für manche Entscheidungen berücksichtigt werden muss, ist immens. „Jahrelange Erfahrungen der Manager helfen dabei nicht“, sagt Ralf Düster, Vorstandsmitglied des Bochumer SCM-Softwarespezialisten Setlog. Firmen müssten daher Prozesse stärker automatisieren und die Vorteile künstlicher Intelligenz im Bereich präskriptive Analytik sowie autonomer Agenten nutzen, um Effizienzgewinne zu erzielen. „Manager werden Softwaretechnologien für die Supply Chain einführen, um die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu erhöhen“, unterstreicht Düster, dessen Annahmen auf Kundengesprächen basieren. Dank moderner Technologien könnten Unternehmen von der Planung bis zur Auslieferung Tempo erzeugen, Puffer abbauen und Prozesse effizient steuern.
Trotz der vielfältigen technischen Möglichkeiten, die sich mittlerweile den Transport- und Logistikunternehmen sowie den Supply Chain Managern bieten, um die Lieferketten zu steuern, wird 2022 ein schwieriges, weil unberechenbares Jahr werden. „Fahrermangel, die enorme Geschwindigkeit, mit der sich die Omikron-Variante ausbreitet, weitere Hafenschließungen aufgrund von Covid-Ausbrüchen und strengere Grenzkontrollen sind 2022 zu erwarten“, sagt Oleksii Kosenko, verantwortlich für das Carrier-Netzwerk beim US-amerikanischen Supply-Chain-Plattformanbieter Fourkites. Verlader und Spediteure werden mehr denn je unter Druck stehen, Waren schnell und fristgerecht zu liefern. Für die Prozesssteuerung sei Technologie unverzichtbar, da die Zeit für manuelle Arbeiten nicht reiche.
Bereitschaft zum Datentausch
Im Umgang mit Daten sieht -Kosenko einen Trend. „Im Jahr 2021 haben mehr Spediteure als je zuvor Daten getauscht, um Kunden in Zeiten von Fahrermangel und Hafenschließungen besser bedienen zu können. In diesem Jahr wird sich dieser Trend fortsetzen, da Spediteure den sicheren und privaten Austausch von Echtzeit-Sichtbarkeitsdaten als eine Möglichkeit erkannt haben, sich von der Konkurrenz abzuheben.“ Dies wird zudem zu einer Anforderung ihrer Kunden werden, die Transparenz über die gesamte Lieferkette benötigen. Es muss ersichtlich sein, wie viele und welche Waren sich in einem Abgangs- und Bestimmungshafen, im Lager, im Cross-Dock oder in einem Eisenbahnwaggon befinden. Denn auch die Empfänger müssen bei Störungen und Engpässen schnell -reagieren.
Das dritte Jahr der Corona-Pandemie wird Logistiker und Supply Chain Manager nach wie vor herausfordern. Nach Ansicht mancher Experten könnten 2022 die vielen Unwägbarkeiten zum Technologiebeschleuniger werden.
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