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Jul 7, 2021
Der 90 Tonnen schwere Wagenkasten ohne Drehgestelle ruht für den Transport auf einem Spezialauflieger mit 14 Achslininien.
© Bombardier/Universal Transport

Jan Peter Naumann

Wie eine Lokomotive per Lkw und Schiff in die USA gelangt

Umsichtig steuert Karsten Reichel den Schwerlastkonvoi durch einen Kreisverkehr am Ortsausgang von Lichtenau (bei Paderborn) – auf der Ladefläche befindet sich eine von insgesamt 25 Lokomotiven, die künftig im Linienverkehr im Großraum zwischen New Jersey und New York eingesetzt werden. Die Transportabwicklung zwischen dem Werk in Kassel und dem Empfänger in den USA übernimmt das Team der Universal Transport Gruppe und ihrer Töchter. Karsten Reichel arbeitet seit 2010 bei der Paderborner Spedition. Entsprechend routiniert ist er darin, besonders große, lange oder schwere Frachten zu fahren. Und doch ist dieser Transport etwas Besonderes.

Die Planungen und Vorbereitungen für die Transport-Serie der Loks haben über ein Jahr gedauert. Nicht nur besagter Kreisverkehr hat dafür eine eigene asphaltierte Mittelspur erhalten, selbst eine neue Kesselbrücke musste für die Reise konzipiert und gebaut werden.

Verladung im Kasseler Werk

Los geht die Reise der Lokomotiven jeweils im Herstellerwerk in Kassel. Die nordhessische Stadt ist nicht nur für die Kunstausstellung documenta bekannt, sondern kann auch eine lange Tradition in der Herstellung von Schienenfahrzeugen vorweisen. Für den aktuellen Auftrag wurden 25 ALP-45DP DualPower-Lokomotiven im Hause Alstom, früher Bombardier, für das nordamerikanische Transportunternehmen New Jersey Transit bestellt.

Bis dahin ist es aber noch weit. Normalerweise verlassen die hier produzierten Loks das Werk auf der Schiene. Das ist in diesem Fall nicht möglich, weil sie für den Einsatz im deutschen Schienennetz nicht geeignet sind. Ihre Achslast ist mit 32 Tonnen statt der hier zulässigen maximal 22,5 Tonnen deutlich zu schwer. Auch passen die Radprofile nicht zu den Schienen in Europa.

Doppelter Antrieb: Die ALP-45DP Lokomotiven verfügen über Elektro und Dieselantrieb. Sie sind damit perfekt für die Strecken im Großraum zwischen New Jersey und New York ausgerichtet, die nur teilweise elektrifiziert sind. Im Elektrobetrieb bringt es die Lok im Push-Pull-Personenzugbetrieb auf bis zu 200 km/h (125 mph), im Dieselbetrieb auf 160 km/h (100 mph).
© DB Schenker/Michael Neuhaus

Auf der Strecke: Jeder Zentimeter zählt

Für den Vorlauf in den Hafen Hamburg wird der 90 Tonnen schwere Wagenkasten – noch ohne Drehgestelle – transportiert. Karsten Reichel steuert die vordere Zugmaschine. Doch für Steigungen oder Gefälle würden ihre 640 PS nicht ausreichen. Daher kommt ein zweiter MAN TGX zum Einsatz, der die Kesselbrücke von hinten schiebt oder abbremst. Karsten Reichel und sein Kollege Hendrik Neubauer sind während der Fahrt per Funk ständig miteinander in Kontakt und stimmen jedes Fahrmanöver genau ab, damit der Transport vorankommt.

Der Spezial-Auflieger in ihrer Mitte hat insgesamt 14 Achslinien und 112 Reifen. Bei einer Spannweite von maximal 23 Metern kann er bis zu 160 Tonnen Ladung aufnehmen. Weltweit gibt es nur wenige Kesselbrücken ähnlicher Bauart, meist mit deutlich niedrigerer Zuladung. Ihre speziell tiefliegende Konstruktion ermöglicht den Transport von Fahrzeugen mit einer Höhe von bis zu 4,40 Metern. Wichtig gerade für den Transport dieser Loks, denn mit einem herkömmlichen Auflieger wäre für ihn bereits nach wenigen Kilometern, vor einer besonders niedrigen Brücke bei Vellmar, wieder Schluss gewesen.

Trotzdem ist auch jetzt noch Millimeterarbeit und Fingerspitzengefühl bei jeder Brückendurchfahrt gefragt. Dafür wird der Tieflader hydraulisch beinahe bis auf die Straße abgesenkt. Mit fünf Zentimetern Luft oben und zwei bis drei Zentimetern zur Fahrbahn passiert er im Schneckentempo die Engstelle, die nicht die einzige auf der Strecke bleibt. Vorbei geht es unter Brücken und durch kleine Ortschaften. Eine andere Streckenführung ist nicht möglich, denn das deutsche Autobahnnetz mit seinen Brücken ist marode und damit nicht für diese Transporte geeignet. So benötigt das Team für die rund 360 Kilometer über Bundesstraße und Autobahn bis in den Hafen Hamburg vier Nächte.

Schwimmkran als letzte Meile

Auf den letzten Kilometern durch die Hansestadt muss die Lok noch einen Umweg nehmen. Denn eine Brücke zum Terminal kann der Schwerlastkonvoi aufgrund seines Gesamtgewichts von 230 Tonnen nicht überfahren. Daher fährt Karsten Reichel die Lok an ein anderes Terminal. Mit einem Schwimmkran wird sie vom Lkw gehoben und rund 6 Kilometer über die Elbe an das eigentliche Abfahrtsterminal gebracht.

Dort erhält der Wagenkasten seine Drehgestelle. Sorgfältig auf einem MafiRoll- und Cargotrailer gesichert geht es für die nun 130 Tonnen schwere Lok auf ein RoRo-Schiff, das sie die 6.000 Kilometer über den Atlantik bis nach New Jersey bringt, wo die Entladung in das Gleisbett des amerikanischen Bahnbetreibers erfolgt.

Bereits zwei Loks haben so ihr Ziel erreicht. 23 weitere sollen bis 2022 folgen. Federführend zuständig für die Transport­organisation und -abwicklung inklusive Entladung im US-amerikanischen Hafen als Projektlogistiker ist Züst & Bachmeier. Die Umsetzung aller notwendigen Maßnahmen zur Vorbereitung der Strecke sowie die Transportbegleitung mit insgesamt vier Fahrzeugen werden von der StB Verkehrstechnik durchgeführt. Die Transportleistung übernimmt die Speditionsabteilung von Universal Transport.

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