Das Logistikherz schlägt an der Küste

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Jun 19, 2023
Die deutschen Seehäfen sollen auch bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen.
© No Limit Pictures/iStock

Frank Dreeke

Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group und Mitglied des Präsidiums des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS).
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der DVZ
Die deutschen Seehäfen haben in Zeiten von Multikrisen ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Und auch künftig werden sie unter anderem als Drehscheiben der Offshore-Logistik von überragender Bedeutung sein.

Das weltumspannende Netz aus Lieferketten ist sehr fragil und wurde schon durch die Corona-Pandemie auf eine harte Probegestellt. Die Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff „Ever Given“ im März 2021 und der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 haben die Relevanz der Supply Chain in Vordergrund gerückt und gezeigt, wie resilient die Prozesse sind. In der Logistik spüren wir jede Krise sofort. Der russische Angriffskrieg, die steigenden Energiekosten und die Inflation, aber auch Herausforderungen wie der Arbeits- und Fachkräftemangel oder der Klimawandel – diese Multikrisen haben in den deutschen Seehäfen zu einem sehr herausfordernden Geschäftsumfeld geführt.

Die Hafenunternehmen haben sich den veränderten Ausgangssituationen in der Regel schnell und pragmatisch gestellt. Bemerkenswert ist, dass der Engpass bei Containern zu einem positiven Ergebnis im Geschäft mit konventionellen Gütern und Massengütern führte. Die viel beschriebenen „Schiffsstaus“ haben sich mittlerweile größtenteils aufgelöst. Auch der Mangel an Tonnage wird durch Neubauaufträge der Reedereien kompensiert. Aber eines haben alle gelernt: Die nächste Krise kommt bestimmt. Es ist wichtig, Lehren aus den Erfahrungen zu ziehen und so gut wie möglich vorbereitet zu sein.

Die deutschen Seehäfen haben in Zeiten der Multikrisen ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt, zum Beispiel beim Export von ukrainischem Getreide oder beim Import von benötigten Energieträgern wie Kohle, Öl und LNG. Über die deutschen Seehäfen wurden im Jahr 2022 insgesamt 36,1 Millionen Tonnen fossile Energieträger (Kohle, Rohöl und Erdgas) importiert, das waren 13,9 Prozent mehr als im Jahr 2021. Knapp ein Drittel (31,5 Prozent) davon entfielen auf Kohle und gut zwei Drittel (67,6 Prozent) auf Rohöl. Wichtigstes Lieferland waren hier die Vereinigten Staaten, aus deren Häfen 7,5 Millionen Tonnen und damit gut ein Fünftel (21,0 Prozent) der Importmenge stammten. Die deutschen Seehäfen spielen eine zentrale Rolle als Drehscheibe der Logistik und haben sich trotz zahlreicher Herausforderungen als flexibel und robust erwiesen: Der Güterumschlag ist 2022 mit insgesamt 279,1 Millionen Tonnen um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Ursachen dafür waren einerseits die stark nachlassende Dynamik des Welthandels und andererseits auch das Wegbrechen des Seeverkehrs mit Russland (9 Prozent des Gesamtumschlags). Durch klare Zuwächse beim Import von Energieträgern könnten diese Einflüsse zu einem großen Teil ausgeglichen werden.

Beschleuniger für den Wandel

Krisen sind aber immer auch ein Beschleuniger für den Wandel – und der ist derzeit gekennzeichnet von Energiewende, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Gerade hinsichtlich der Energiewende kommt den Seehäfen eine zentrale Rolle zu. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, muss das Energiesystem des Landes nahezu vollständig auf erneuerbare Energien sowie grünen Wasserstoff umgestellt werden. Letzterer muss in großen Mengen über deutsche Häfen per Schiff importiert werden. Zudem soll Offshore-Windenergie eine wichtige Rolle spielen, weshalb laut der Deutschen Energie Agentur der beschleunigte Auf- und Ausbau der Hafeninfrastruktur notwendig ist.

Wenn wir den Klimaschutz und die Ausbauziele ernst nehmen, müssen wir schnellstens die dafür nötigen Kapazitäten in den Seehäfen schaffen. Das gilt sowohl für den Bau neuer Offshore-Anlagen als auch für die Ausbauoffensive an Land. Für den Import von Windkraftanlagen wie auch für den Offshore- Ausbau benötigen wir in den Häfen deutlich mehr Schwerlastflächen, die groß genug für moderne Windräder sind. Darüber hinaus müssen die Hemmnisse bei der Durchführung notwendiger Schwerlasttransporte beseitigt, Genehmigungsverfahren verkürzt und die personelle Ausstattung optimiert werden. Wir brauchen für diese nationale Aufgabe eine standortübergreifende Organisation der notwendigen Investitionen entlang der gesamten deutschen Nord- und Ostseeküste. Auch bedarf es der vorausschauenden Schaffung einheitlicher Vorschriften.

Klares Bekenntnis von der Politik

Seehafenbetreiber und Hafenunternehmen erwarten vom Bund eine deutlich ehrgeizigere und strategischere Hafenpolitik, die der nationalen und europäischen Bedeutung gerecht wird. Unsere Nachbarländer kaufen uns, was das angeht, deutlich den Schneid ab. Die „Nationale Hafenstrategie“ des Bundes ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung, sie muss aber schnell entwickelt und vor allem umgesetzt werden. Um konkurrenz- und damit zukunftsfähig zu bleiben, fordern die Hafenbetreiber von der Politik ein klares Bekenntnis zu den deutschen Seehäfen: Bund und Länder müssen die Seehäfen als gemeinsame Aufgabe betrachten. Wir wären kein führendes Logistikland, wenn die Seehäfen schlecht angebunden wären. Angesichts der Klimaziele und des wachsenden Warenverkehrs brauchen wir einen schnelleren und entschlosseneren Ausbau, insbesondere des Bahnnetzes. Die Seehäfen sind zentrales Glied in einer Transportkette und auf eine gute und funktionierende Infrastruktur im Hinterland angewiesen, gerade im intensiven europäischen Wettbewerb.

Anbindung ist das A und O

An der Kaje laufen Schiene und Straße zusammen. Es gibt aber Einschränkungen bei der Traktionsbereitstellung der Eisenbahnverkehrsunternehmen, im Wesentlichen bedingt durch den Lokführermangel und einer Vielzahl von Baustellen im europäischen Gleisnetz. Das führt zu einer hohen Nachfrage auf der Straße. Aber auch hier haben wir es mit einer deutlichen Verknappung der Kapazitäten durch einen Fahrermangel zu tun. Wir brauchen die Einrichtung von Flexi-Trassen und das reibungslose Nebeneinander von Güter- und Personenverkehr auf der Schiene. Wir stehen in der Welt, in Deutschland und in den Häfen weiterhin vor großen Herausforderungen. Die Hafenwirtschaft wird weiterhin zuverlässig ihren Beitrag leisten. Wir erwarten, dass auch die Politik ihrer Verantwortung gerecht wird und den klimafreundlichen Transport per Schiff stärkt und ausbaut. Nur so können die deutschen Seehäfen im harten internationalen Wettbewerb bestehen und wichtige Logistikinfrastruktur und gute Arbeitsplätze erhalten. Eins hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt: Die Bedeutung der Häfen ist nicht zu unterschätzen. Es braucht jetzt Mut aufseiten der Politik, an den Kajen zu investieren, um die Wettbewerbsfähigkeit der Häfen auch in Zukunft zu erhalten. (ben)

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