Bremen bleibt die Nummer eins unter den GVZ in Europa

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Aug. 27, 2025
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Michael Cordes

Dieser Artikel erschien zuerst in der DVZ
Im europäischen Ranking der Güterverkehrszentren (GVZ) hat es die Hansestadt wieder geschafft und ist europäischer Champion. Aber die anderen Standorte sind den Bremern dicht auf den Fersen. Und vor allem Italien trumpft mit einer in Europa einmaligen „mannschaftlichen Geschlossenheit“ auf.

Im Fußball wird der Europameister alle vier Jahre ausgespielt. Alle fünf Jahre hingegen ermittelt das GVZ-Ranking seinen europäischen Champion. Das ist nicht der einzige Unterschied: Im Fußball stand Deutschland letztmals 2013 (Frauen) beziehungsweise 1996 (Männer) ganz oben auf dem Treppchen. In der Disziplin GVZ hingegen stammt der Sieger 2025 wie schon beim letzten Mal im Jahr 2020 aus Bremen, und damit aus Deutschland.

Aber anders als beim Fußball treten hier nicht Nationen, sondern einzelne Standorte an. Und die Autoren des Rankings sehen die Rangliste auch nicht als ein Wettbewerb gegeneinander an. „Vielmehr wollen wir positive Beispiele herausheben und Maßnahmen aufführen, von denen die anderen Standorte lernen können“, sagt Thomas Nobel, Geschäftsführer der Deutschen GVZ-Gesellschaft und Mitautor des Rankings.

Bei der Auswertung in diesem Jahr gab es einige Neuerungen. Es ist fast ein Drittel neuer Fragen hinzugekommen. Auch deren Wertigkeit (die Fragen werden mit einem Punktesystem gewichtet) wurde verändert.

Der Sieger der diesjährigen Ausgabe – das GVZ Bremen – gehört zu den Leuchttürmen in Europa. Es war das erste in Deutschland und ist auch eines der größten. Ist Größe entscheidend, um vorne im Ranking dabei zu sein? „Es erleichtert es zumindest“, sagt Nobel, „denn große GVZ sind in der Lage, vielfältige und attraktive Services anzubieten. Damit lassen sich auch Unternehmen mit einer hohen Wertschöpfung von einer Ansiedlung überzeugen.“

Das Bremer GVZ erreichte 405 von maximal 442 möglichen Punkten. „Weil es so früh gegründet wurde, hat es einen Entwicklungsvorsprung“, sagt Nobel. Zudem zeichne es sich durch ein hohes Engagement bei Forschungs- und Entwicklungsvorhaben aus. „So ist es Vorreiter beim Umsetzen von Projekten zum autonomen und automatisierten Fahren“, sagt der GVZ-Experte. Auch bei der Nutzung von Photovoltaik zur Erzeugung von Strom sei der Standort so weit wie nur wenige andere. „Das sind gute Voraussetzungen, um beispielsweise Ladestationen für E-Lkw mit Strom zu versorgen“, sagt Nobel.

Auf Platz zwei des Rankings findet sich mit dem GVZ Quadrante Europa in Verona ebenfalls ein „alter Bekannter“. Der Standort belegte auch vor fünf Jahren den zweiten Platz. „Was Terminalstruktur, Umschlag und all die Dinge betrifft, die sich um das Thema Zugverbindungen ranken: Da ist Verona der Maßstab für Europa“, hebt Nobel hervor.

Rang drei geht an das GVZ Clip Logistics in Swarzedz in der Nähe von Posen. „Hier beobachten wir eine sehr dynamische Entwicklung“, sagt Nobel. 2020 reichte es bereits für Rang sechs, nun haben sich die Polen noch weiter nach vorne gearbeitet. „Dem Management ist es gelungen, moderne Logistikanlagen zu errichten. Als Folge hat sich beispielsweise ein Textilhändler angesiedelt, der dort Modeartikel aufbereitet und aus dem GVZ heraus seine Waren distribuiert. Entsprechend hoch ist die Beschäftigtenzahl“, zeigt sich Nobel beeindruckt von der Entwicklung.

Wie das Ranking ermittelt wird

Das Autorenteam um Bianca Nobel (Projektassistentin To-be-now-Logistics-Research-GmbH), Stefan Nestler und Thomas Nobel (beide Geschäftsführer der Deutschen GVZ-Gesellschaft, DGG) erstellt alle fünf Jahre das europäische Ranking. Einen Schwerpunkt bilden die GVZ in den Mitgliedsländern des europäischen GVZ-Dachverbandes „Europlatforms“, der die Studie begleitet. Es wurden 230 Standorte in die (Vor-)Auswahl einbezogen. Die Befragung der GVZ umfasst in diesem Jahr etwa 15 Cluster Fragen, die 50 Bewertungskriterien beinhalten. Deren Anzahl hat sich gegenüber der letzten Befragung um ein Drittel erhöht, weshalb ein Vergleich mit den Ergebnissen des Jahres 2020 auch nur bedingt möglich ist.

Zudem werden die Bewertungskriterien nach ihrer Bedeutsamkeit gewichtet, und zwar in einer Spanne von 1 bis 6: Die aktuelle Beschäftigtenzahl bekommt beispielsweise einen sehr hohen Wert zugeteilt, der dann mit der Ausprägung in dem jeweiligen GVZ (zwischen 0 und 3) multipliziert wird. Für „Best-in-Class-Platzierungen“ sowie für herausragende Werte wurden nochmals Sonderpunkte ausgelobt. Insgesamt konnten 442 Bewertungspunkte erreicht werden. Bremen als die Nummer eins hat als einziges GVZ die 400-Punkte-Marke übersprungen. Es gibt also noch Luft nach oben. Für weitere Informationen zu dem Ranking können sich Interessenten an die DGG wenden. Mehr dazu finden Sie unter: www.gvz-org.de

Italien dominiert die Top Ten

Auffällig in dem Ranking ist das Abschneiden der italienischen Standorte. Gleich fünf von ihnen haben einen Platz unter den ersten Zehn ergattert. „Wir waren schon überrascht, dass sich so viele italienische GVZ so weit vorne festgesetzt haben“, sagt Nobel. Er und der Mitautor des Rankings, Steffen Nestler, hatten sich im Herbst letzten Jahres einige Standorte in Italien angesehen. „Da haben wir festgestellt, dass sich gerade im wichtigen Bereich Intermodalität einiges getan hat“, schildert er seine Eindrücke. Es handele sich größtenteils um etablierte Standorte, die schon frühzeitig entstanden seien, entsprechende Strukturen entwickelt hätten und sich jetzt auf einem hohen Niveau weiterentwickeln würden. „Padova beispielsweise setzt vollautomatische Kräne ein. Auch die Organisation der Ein- und Ausfahrten der Lkw erfolgt automatisiert“, sagt Nobel. Die Automatisierung der Gatebereiche sei auch in anderen italienischen GVZ zu beobachten. Dort gäbe es mehrere Lanes, über die die Lkw in die GVZ ein- und ausfahren könnten.

Unter den Top-20 dominieren deutsche und italienische Standorte. Das hängt damit zusammen, dass sich das Ranking vor allem mit den Standorten befasst, deren Länder Mitglied in der Europlatforms-Organisation sind. Damit können die Autoren einen hochwertigen Rücklauf der Fragebögen sicherstellen.

Neun GVZ aus Deutschland haben den Sprung unter die Top-20 erreicht. Nur das Cargo-Center-Graz, der Ennshafen (beide Österreich), Clip aus Polen sowie das GVZ Saragossa aus Spanien kommen nicht aus Italien oder Deutschland. Vor fünf Jahren waren noch die Standorte Barcelona (Spanien), Budapest (Ungarn) und Kouvola (Finnland) vertreten.

Auch wenn es bei der Bewertung der GVZ einige neue Kriterien gegeben hat: Die Intermodalität ist weiterhin „die DNA von GVZ“, wie es Nobel formuliert. Das ist auch eine Voraussetzung, um überhaupt an dem Ranking teilzunehmen. Hat ein Standort keine Photovoltaikanlage, gibt es Abzüge in der Bewertung. Aber die Möglichkeit, Güter von der Straße auf die Schiene oder das Binnenschiff umschlagen zu können, muss vorhanden sein. Bei der Identifizierung von geeigneten GVZ war die künstliche Intelligenz (KI) behilflich, mit der über Luftaufnahmen identifiziert werden konnte, inwiefern die verkehrlichen Anbindungen und der Standort mit seinen Anlagen die jeweiligen Kriterien erfüllt.

Infrastruktur bereitet Sorge

Abgefragt werden von den Autoren auch mögliche Risiken. „Es war in diesem Jahr auffällig, wie häufig dabei der Zustand der Verkehrsinfrastruktur genannt wurde, der ihnen Sorge macht“, sagt Nobel. Und zwar sowohl bei der Schiene als auch bei der Straße und durchgängig über alle Länder. „Das war vor fünf Jahren noch nicht so“, merkt Nobel an.

Noch kein explizites Kriterium bei der Bewertung ist die Klimaneutralität: „Keine Frage“, sagt Nobel, „das Thema Vermeidung von CO₂-Emissionen nimmt an Bedeutung zu.“ Und über den Oberbegriff ESG-Kriterien würde es bereits in der Bewertung berücksichtigt. Aber es sei derzeit noch sehr schwierig, die Emissionen eines GVZ zu erfassen. „Da tun sich ja schon die Unternehmen schwer, wenn ich an die Debatte um Scope-1, -2 und -3 denke“, sagt Nobel. Und in den größeren GVZ würden sich häufig 100 Unternehmen und mehr befinden. Von all denen eine exakte Berechnung der CO₂-Emissionen zu erhalten, sei heute nahezu unmöglich. Er ist sich aber sicher, dass das Thema an Bedeutung gewinnt und bei der nächsten Befragung eine größere Rolle spielen wird.

Hier setzt er auch auf die Möglichkeiten der KI. Die könne beispielsweise in fünf Jahren viel besser die Verkehrsströme und die damit verbundenen CO₂-Emissionen erfassen. Darüber hinaus könne die KI bei den Beschäftigungswirkungen in nachgeordneten Bereichen womöglich Infos liefern, die heute noch nicht verfügbar seien.

Ebenfalls an Bedeutung gewinnt, wie sich die Standorte in der Öffentlichkeit präsentieren, im Internet oder in den sozialen Medien. Dazu gehören Aktionen wie ein Tag der offenen Tür, soziales Engagement oder die Kommunikation über Kanäle wie LinkedIn. „Eine Entwicklung, die vor fünf Jahren noch keine Bedeutung gespielt hat und bei der nächsten Auswertung in fünf Jahren sicher nochmal wichtiger wird“, prophezeit der GVZ-Experte.

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Hektar beträgt die Fläche des GVZ in Saragossa, Spanien: Damit ist es der größte Standort unter den Top-20

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