Moritz Petersen & Johannes Meuer
Früher war alles besser. Oder? Zumindest gab es früher viel weniger Abfall. Allen Recyclingbemühungen zum Trotz: Wir leben in einer exzessiven Wegwerfgesellschaft. Und damit meinen wir gar nicht solche offensichtlichen Absonderlichkeiten wie die Einweg-E-Zigaretten, deren fest verbaute Akkus voller wertvoller Metalle nach kurzer Nutzung zu Tausenden im Restmüll landen. Nein, Verschwendung von Ressourcen ist ein Eckpfeiler unseres heutigen Wirtschaftssystems. Das glauben Sie nicht? Drei Belege: 1. Die mit der jährlichen globalen Lebensmittelverschwendung verbundenen Treibhausgasemissionen sind größer als der Jahreswert von Indien. 2. Im Schnitt steht jedes Auto 95 Prozent des Tages ungenutzt herum und beansprucht Parkraum. 3. Und wie häufig sagen wir „Das ist nicht mehr reparierbar“ und sprechen nicht von der technischen Faktenlage, sondern eigentlich von finanziellen Abwägungen.
Ist das alles nur anekdotische Evidenz? Der jüngste „Circularity Gap Report“ fasst es in Zahlen: Das globale Wirtschaftssystem ist zu 92,8 Prozent auf Einweg getrimmt. Und das ist problematisch, denn eine solche Verschwendung können wir uns auf Dauer nicht leisten. Nonstop-Weltumsegler wie Boris Hermann und Ellen MacArthur wissen, dass sie auf See nur nutzen können, was sie vor dem Start ihrer monatelangen Törns eingepackt haben. Im planetaren Maßstab ist das genauso: Alle Ressourcen sind nur begrenzt verfügbar. Allerdings verhalten wir uns, als könnten wir unterwegs anhalten und verschwendete Ressourcen „nachtanken“.
Aber was ist mit der Logistik? War hier früher auch alles besser? Sicher war es um das Image der Logistik besser bestellt. Früher war Fernfahrer noch der Traumjob vieler Kinder. Und früher stand die Logistik viel weniger unter öffentlichem Druck, die Nachhaltigkeitsbilanz zu verbessern. Darum gab es früher auch weniger Relativismus („Es sind doch nur X Prozent der CO2-Emissionen!“) und weniger leicht zu durchschauendes Greenwashing, das heute viele echte und verdient zu beklatschende Nachhaltigkeitsbemühungen überdeckt. Auch darum erscheint die Logistik heute häufig eher als Teil des Problems statt (auch) als Teil der Lösung.
Über die Autoren
Moritz Petersen ist Assistant Professor in Sustainable Supply Chain Practice sowie Direktor des Centers for Sustainable Logistics and Supply Chains an der KLU Kühne Logistics University.
Johannes Meuer ist Associate Professor for Sustainability Strategy and Operations an der KLU.
Recycling ist das letzte Mittel
Wäre es nicht toll, wenn wir bei beiden Themen die Uhr zurückdrehen könnten? Sozusagen zurück in die Zukunft? Eine Lösung für beide Probleme heißt Kreislaufwirtschaft. Sie ist mittlerweile zentrales politisches Ziel der größten Volkswirtschaften der Welt und beschreibt ein Wirtschaftssystem, das dafür Sorge trägt, dass Ressourcen in Materialkreisläufen zirkulieren, statt nach einmaliger Nutzung auf Deponien zu enden oder thermisch „recycelt“ zu werden. Wie das geht, fasst der Folksänger Pete Seeger zusammen: „If it can’t be reduced, reused, repaired, rebuilt, refurbished, refinished, resold, recycled or composted, then it should be restricted, redesigned or removed from production.“ Recycling steht dabei nicht ohne Grund weit hinten in der Aufzählung. Es ist zwar notwendig, aber in einer Kreislaufwirtschaft immer das letzte Mittel. Denken wir an eine Bücherei. Tausende Bücher in den Regalen werden immer und immer wieder ausgeliehen und schaffen echte Werte: Sie bieten Zerstreuung, neue Kochrezepte, geben Halt, liefern Tipps für die Rasenpflege und so weiter. Nun könnte man Bücher auch einmalig lesen und anschließend recyceln. Dann hätten sie maximal als Eierkarton noch einen letzten Auftritt.
Produkte und Geschäftsmodelle
Was braucht es für die Kreislaufwirtschaft? Zunächst einmal kreislauffähige Produkte – so sie nicht durch Dienstleistungen ersetzt werden können. Haltbar, standardisiert, reparierbar, zerlegbar, upgradefähig, dokumentiert sind nur Beispiele entsprechender Designanforderungen. Zweitens braucht es Geschäftsmodelle, die nicht auf „verkaufen und vergessen“ setzen, sondern Produkte vermieten, reparieren, zeitlich begrenzten Zugang verschaffen und so weiter. Beides allein reicht aber noch nicht. Es braucht drittens gut funktionierende, operative Prozesse, mit denen genutzte Produkte eingesammelt, gebündelt transportiert, aufbereitet und dem Kreislauf wieder zugeführt werden. Das Ganze muss zuverlässig und effizient passieren. Es braucht einen Kümmerer, der Materialflüsse orchestriert und Kreisläufe schließt. Lesen Sie hier „Logistik“ in großen, leuchtenden Buchstaben über den letzten Sätzen geschrieben? Wir auch. Denn den Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft kann die Logistikbranche entscheidend unterstützen und Teil der Lösung sein. Manche Logistikunternehmen sind bereits heute in ähnlichen Aufgabenfeldern aktiv. Logistik in der Kreislaufwirtschaft wird regionaler, kleinteiliger und weniger berechenbar. Dafür kann der Wertschöpfungsanteil der Logistik deutlich steigen (und mit ihm die Margen). Und das Beste: Wir benötigen keinen DeLorean und auch keinen Fluxkompensator, um zurück in die Zukunft zu kommen. Es braucht lediglich über Jahrzehnte erarbeitetes und bewährtes Logistikhandwerk. Wir wünschen uns, dass die Logistikbranche die Kreislaufwirtschaft als Entwicklungsmöglichkeit versteht und so proaktiv den Wandel unterstützt und gestaltet.
(fw)
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